Einmal verbremst und schon in der Klinik
Immer mehr Menschen kaufen sich E-Bikes. Mit ihnen ist man auch im Alter schnell unterwegs. Doch wer unsicher auf dem Rad sitzt, droht schwer zu verunfallen Ein Bremsfehler beim Linksabbiegen beschert eine Kopfverletzung, ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit endet an einem Eisenpfosten: Zwei 58-Jährige sind in Langquaid (Kreis Kelheim) und in Geiselhöring (Kreis Straubing-Bogen) vergangene Woche mit ihren E-Bikes verunfallt.
Beide Male stürzten sie ohne Fremdbeteiligung. Keine Seltenheit, wie die Polizei bestätigt. Wie gefährlich sind die Pedelecs – umgangssprachlich E-Bikes (siehe Text unten) – denn wirklich? „Mit einem Pedelec geht es flott dahin“, sagt Dieter Kluske. Er ist zweiter Vorsitzender der Kreisverkehrswacht Straubing und gibt regelmäßig Kurse für Pedelecfahrer. Vor sechs Jahren hat er sich so ein Fahrrad gekauft. Lässt es das Wetter zu, fährt der Polizist damit jeden Tag in die Arbeit. „Mit dem Pedelec strengt das nicht an und ich komme unverschwitzt an.“ Steigungen gehe es leicht hinauf. In der Stadt fahre er kaum noch mit dem Auto, weil er mit dem Pedelec schneller am Ziel sei. Aber als Experte weiß er auch, dass das Fahren dieser Räder Übung benötigt. Das zeigen auch die Unfallzahlen, die die Polizeipräsidien Oberpfalz und Niederbayern auf Anfrage übermitteln. Während die Zahl von Radunfällen in den vergangenen Jahren vergleichbar blieb, ist der Anteil der verunfallten E-Bike-Fahrer stark gestiegen. In Niederbayern nahm ihr Anteil zwischen 2016 und 2020 um über 300 Prozent zu. 2016 gab es in Niederbayern 1170 polizeilich erfasste Radunfälle, mit 65 E-Bikes. 2020 waren es 1250 Radunfälle, davon über 280 E-Bikes. In der Oberpfalz waren 2018 knapp neun Prozent der verunfallten Radfahrer Elektroradler, 2020 waren es über 17 Prozent.
Je schneller, desto größer die Gefahr zu verunglücken E-Biker verunfallen auch häufiger tödlich. Vergangenes Jahr starben nach Polizeiangaben drei Radfahrer in Niederbayern, davon ein E-Bike-Fahrer. In der Oberpfalz waren es zwei E-Bike-Fahrer von insgesamt fünf toten Radlern. Kluske kann bestätigen, dass die Zahl der Unfälle mit Pedelecs in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Das liege auch daran, weil das Fahren mit diesen Rädern unter schätzt werde. „Mit so einem E-Motor unterm Sattel macht auch ein nicht so sportlicher Fahrer richtig Tempo. Da sind dann halbe Tourde-France-Fahrer unterwegs“, sagt der Verkehrsexperte. Je höher jedoch die Geschwindigkeit, desto größer die Gefahr zu verunglücken. Aber nicht nur die Pedelec-Fahrer selbst unterschätzen die Geschwindigkeit ihres Rads, so auch die anderen Verkehrsteilnehmer. Deshalb komme es gerade an Kreuzungen und Einmündungen immer wieder zu Unfällen, sagt Kluske. 2020 wurde laut Polizeipräsidium von etwa 50 schweren Unfällen mit E-Bikes in der Oberpfalz rund ein Fünftel von Autofahrern verursacht. Der größte Anteil der schwer verletzten E-Bike-Fahrer, 32 Menschen, stürzte jedoch ohne Mitwirkung eines anderen Verkehrsteilnehmers. Die Dunkelziffer dürfte noch höher sein, schließlich meldet nicht jeder der Polizei, wenn er alleinbeteiligt vom Rad stürzt. „Höheres Tempo und Gewicht führen oft zu schweren Unfällen bei E-Bike-Fahrern“, teilt ein Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberpfalz auf Anfrage mit. Viele Fahrer unterschätzen das Gewicht eines Pedelecs, das durch seine Ausstattung 20 Kilo und mehr auf die Waage bringt, sagt Kluske. Ein normales Fahrrad liege unter zehn Kilo. Diese Masse müsse man handhaben können. Mit diesen schnellen und schweren Rädern sicher unterwegs sein, sei vor allem für ältere Menschen, die den Großteil der Pedelecfahrer ausmachen, ein Problem, sagt Kluske. Reaktionsvermögen, Koordinierungsfähigkeit, Hören und Sehen werden im Laufe des Lebens schlechter. Auch die Muskelmasse baue ab. Damit steige das Unfallrisiko.
Auch Bremsen und Fallen will geübt sein Kluske empfiehlt, sich beim Kauf eines E-Fahrrads im Fachhandel beraten zu lassen und auch unbedingt eine Probefahrt zu machen. Der Umgang mit einem Elektrofahrrad sollte zudem geübt werden. Die Kreisverkehrswacht Straubing zum Beispiel bietet kostenlose Kurse an. Hier gehört unter anderem das Bremsen zum Programm, denn Elektrofahrräder haben laut Kluske sehr starke Bremsen. Maximilian Bohms, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Niederbayern, ist selbst häufiger Radfahrer. Er gibt den Tipp, das Hinfallen zu üben. Denn E-Bikes würden auch weniger trainierte und ungeübte Fahrer dazu verleiten, sich in Regionen vorzuwagen, die sie sonst wohl eher nicht erreicht hätten. „Insbesondere steile Passagen mit losem Untergrund bergen für Laien ein hohes Risikopotenzial für folgenschwere Stürze.“ Bohms und Kluske raten, beim Pedelecfahren einen Helm zu tragen. Denn die Verletzungen können schwer sein, wenn bei einem Unfall der Kopf ungeschützt auf die Fahrbahn oder die Bordsteinkante aufschlägt, sagt Kluske. Außerdem wünscht er sich von allen Verkehrsteilnehmern wieder mehr gegenseitige Rücksichtnahme, denn die sei in den vergangenen Jahren „ziemlich verloren gegangen.
E-Bike ist nicht gleich E-Bike
Dieter Kluske, zweiter Vorsitzender der Kreisverkehrswacht Straubing, erklärt, dass es drei Kategorien von Elektrofahrrädern gibt. Geschätzt 90 bis 95 Prozent der Elektroradler seien auf Pedelecs unterwegs. Pedelecs haben einen E-Motor, mit dessen Hilfe Geschwindigkeiten von maximal 25 Kilometern pro Stunde erreicht werden. Bei diesen Elektrorädern müsse der Fahrer aber auch mit in die Pedale treten. Die beiden anderen Kategorien sind E-Bikes und S-Pedelecs, die Geschwindigkeiten ab 25 bis 45 Kilometer pro Stunde ermöglichen und auch ohne zusätzliches Pedaletreten fahren. Sie gelten nicht mehr als Fahrräder, sondern als Kraftfahrzeuge.
Erschienen in Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung am 12. Juli 2021.